Lernschwierigkeiten: Ab wann ist professionelle Hilfe notwendig?
Simon ist bereits seit Wochen dabei, das kleine Einmaleins zu üben. Seine Mutter fragt ihn täglich ab. Schriftlich, mündlich, bei Bewegung, spielerisch, mit Eselsbrücken, geordnet und durcheinander. Doch das Einmaleins will einfach nicht in Simons Kopf hängen bleiben. Es wirkt beinahe so, als ob Simon jeden Tag von vorne mit dem Lernen beginnen muss. So wie Simon geht es Schülern und Schülerinnen häufiger. Eltern stellen sich dann die Fragen: Liegt bei meinem Kind eine Lernschwierigkeit vor? Und wie kann ich ihm noch besser helfen? Wir geben einen Überblick.
Wenn Kinder lernen: von der Begeisterung zur Ernüchterung
Kinder lernen von Geburt an. Ganz automatisch und nebenbei: durch Beobachtung, Zuhören, Nachahmen und Ausprobieren. Diese Formen des Lernens machen den Kindern Spaß, da die kindliche Neugier die Kinder anspornt und sie selbst über das Lerntempo, den Inhalt und die Dauer des Lernens entscheiden können. Auch in der Kindergarten- und Vorschulzeit zeigt sich die ungebremste Neugier durch teilweise ununterbrochenes Fragenstellen und einen ausgeprägten Forscher- und Entdeckerdrang. Entsprechend motiviert starten viele Kinder mit der Einschulung in den Schulalltag. Leider kommt dann allzu oft eine Zeit der Ernüchterung: Lernen ist anstrengend. Insbesondere wenn es zur Pflicht wird, gelernt werden muss, was die Lehrerin oder der Lehrer vorgeben und nur eine bestimmte Zeitspanne dafür zur Verfügung steht. So sind viele Kinder bald weniger begeistert vom strukturierten Lernen und es gibt Phasen und Themen, bei denen das Lernen besonders schwerfällt. Diese wechseln sich meist mit Phasen ab, in denen das Lernen besser gelingt und mehr Freude bereitet.
Lernschwierigkeiten: Wenn das Lernen unerträglich wird
Doch nicht alle Kinder erleben auch positive Phasen und motivierende Lernerfolge. Bedauerlicherweise gibt es auch Kinder, die dauerhaft Schwierigkeiten mit dem Lernen haben. Diese leiden dann unter Lernschwierigkeiten. Per Definition haben Kinder dann eine Lernschwierigkeit, wenn diese über einen längeren Zeitraum die an sie gestellten Lernanforderungen nicht erfüllen können, weil subjektive Leistungsvoraussetzungen fehlen beziehungsweise nicht stark genug ausgeprägt sein. Dies bedeutet in der Praxis: Auch bei großer Anstrengung gelingt es dem Kind nicht, die Lernherausforderung zu meistern. Die bekanntesten Lernschwierigkeiten sind:
- Konzentrationsschwäche
- Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS)
- Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS)
- Lese-Rechtschreibschwäche/Legasthenie
- Rechenschwäche/Dyskalkulie
Für Kinder, die von einer Lernschwierigkeit betroffen sind, wird das Lernen in diesem Bereich oft zur Qual. So fehlt bei einer Rechenschwäche oder Dyskalkulie beispielsweise jegliches Vorstellungsvermögen vom Zahlenraum. Die einfachsten Rechnungen sind damit für das Kind eine schier unlösbare Aufgabe und es muss sich jedes Mal enorm anstrengen, diese zu lösen. Ein Kind mit dieser Lernschwierigkeit kommt dann mit dem Klassentempo nicht mit und verliert schnell den Anschluss. Ein ähnliches Bild liegt bei der Lese-Rechtschreibschwäche oder der Legasthenie vor: Das Lesen und / oder das Schreiben können nur unter enormer Anstrengung erlernt werden. Immer wieder macht das Kind dieselben Rechtschreibfehler oder das Lesenlernen gelingt nicht. Eine Konzentrationsschwäche, ADS oder ADHS wirken sich sogar auf alle Lernbereiche aus.
Lernschwäche oder schlechte Phase?
Wenn Ihr Kind Probleme beim Lernen zeigt, muss nicht immer gleich eine Lernschwäche dahinterstehen. Wie oben beschrieben, kann es sich einfach um eine schlechte Phase handeln oder einen Lernstoff, mit dem sich das Kind eben einmal schwerer tut. Ganz wichtig: Kinder sind keine Maschinen. Es wird in der Schule mitunter recht viel von den Schülern und Schülerinnen verlangt und da kann es schon vorkommen, dass ein Kind gerade einfach mal weniger Elan und Kapazität zum Lernen hat. Dauert dieser Zustand allerdings länger – mindestens drei Monate – an und es entstehen Lernrückstände, dann ist ein schnelles Reagieren sinnvoll. Der erste Schritt sollte immer der Kontakt zur Lehrkraft sein. Diese kann die Leistungen im Vergleich zu den Mitschülern und Mitschülerinnen einschätzen und eine gute Rückmeldung zum Lernverhalten geben. Sieht die Lehrkraft ebenfalls einen Handlungsbedarf, liegt eventuell eine Lernschwierigkeit vor und professionelle Hilfe sollte in Anspruch genommen werden.
Professionelle Hilfe: Lassen Sie sich unterstützen
Wenn Sie und die Schule einen Handlungsbedarf erkannt haben, sollten Sie sich gut beraten lassen. Es gibt viele Stellen, die Ihnen helfen können, die Lernschwierigkeiten festzustellen und Maßnahmen für das Kind einzuleiten. Innerhalb der Schule gibt es Beratungslehrkräfte und Schulpsychologen oder Schulpsychologinnen, die erste Beratung und Orientierung anbieten können. Fragen Sie dazu bei der Klassenlehrkraft nach. Auch Ihr Kinderarzt oder Ihre Kinderärztin sind gute Ansprechpartner für den Bereich der Lernschwierigkeiten. Im weiteren Verlauf können dann auf Anraten dieser Ansprechpartner je nach Notwendigkeit folgende professionelle Stellen beziehungsweise Leistungen in Anspruch genommen werden:
– Ergotherapie
– Lerntherapie
– Kinderneurologen
– Kinderpsychiater
– Kinder- und Jugendpsychologen
Die Ursachen von Lernschwierigkeiten: Woher kommen die Schwierigkeiten?
Diese Frage lässt sich leider nicht so leicht beantworten. Die Wissenschaft hat in verschiedenen Studien viele Ansätze und Erklärungsmodelle gefunden. Die Antwort ist aber immer individuell und daher nur im Einzelfall abschließend zu klären. Manchmal findet sich aber auch überhaupt keine Erklärung oder das Problem ist vielschichtig. Grundsätzlich können psychologische, körperliche oder soziale Ursachen hinter dem Entstehen einer Lernschwierigkeit stehen: eine unentdeckte Schwerhörigkeit oder Sehschwäche, neurologische Defizite, genetische Veranlagung, Ängste und Traumata, ein schlechtes Selbstwertgefühl oder Mobbing in der Schule. Neben der Feststellung einer Lernschwierigkeit ist daher immer auch die Ursachenforschung wichtig, um ein entsprechendes Maßnahmenpaket zusammenstellen zu können. Bei einer Schwerhörigkeit sind schließlich ganz andere Maßnahmen notwendig als bei Ängsten oder sozialen Schwierigkeiten.
Wichtige Elterntipps im Umgang mit Lernschwierigkeiten
Neben der professionellen Hilfe können Sie als Eltern noch einiges tun, um mit Ihrem Kind gemeinsam das Lernen zu unterstützen und einen guten Umgang mit der Lernschwierigkeit zu finden:
Auch wenn es schwerfällt:
Versuchen Sie ruhig und gelassen zu bleiben. Aufregung, Wut oder Panik sind kontraproduktiv und verschlechtern meist den Umgang mit der Situation. Wenn Sie bereits professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, haben Sie den wichtigsten Schritt gemacht und sollten in kleinen Etappen weiterplanen.
Machen Sie sich bewusst:
Eine Lernschwierigkeit ist zwar anstrengend für Eltern und Kind, aber mit professioneller Hilfe, Therapie und Begleitung lässt sich der Umgang damit erlernen und eine erfolgreiche Schullaufbahn ist selbstverständlich möglich. Auch Kinder mit Legasthenie können das Abitur machen.
Denken Sie selbst immer wieder auch die Stärken Ihres Kindes.
Vielleicht ist es handwerklich sehr begabt oder im Sozialverhalten überdurchschnittlich stark und bei seinen Freunden damit sehr beliebt.
Melden Sie diese Stärken immer wieder an Ihr Kind zurück. Durch seine Lernschwierigkeit ist sein Selbstwertgefühl gefährdet. Es braucht viel Lob und Bestärkung.
Finden Sie ein leistungsstarkes oder leistungsfreies Hobby.
Fußball, Schwimmen oder die Pfadfinder. Versuchen Sie für Ihr Kind ein Hobby zu finden, in dem es besonders gut ist oder die Leistung keine Rolle spielt. Es sollte sich dort einfach wohlfühlen. Dieses Hobby dient als Ausgleich und zur Stärkung des Selbstwertgefühls.
Probieren Sie verschiedene Lerntechniken aus und beobachten Sie Ihr Kind genau. Gelingt es dem Kind vielleicht besser zu lernen, wenn es sich dabei bewegt? Oder braucht es eher absolute Ruhe und einen Raum ohne Ablenkung? Finden Sie heraus, unter welchen Bedingungen Ihr Kind am gewissenhaftesten lernen kann.
Versuchen Sie den Spaß am Lernen zu erhalten.
Bringen Sie beim Lernen viel Geduld auf und legen Sie immer wieder lustige, erfreuliche oder abwechslungsreiche Pausen ein. Zum Abschluss einer Lerneinheit können Sie eine kleine Belohnung setzen.
Feiern Sie jeden kleinen Lernerfolg gemeinsam mit Ihrem Kind. Es braucht viel Motivation für die weiteren Schritte und für ein gesundes Selbstwertgefühl.
Verbot
Geben Sie Ihrem Kind in keinem Fall persönlich die Schuld an der Lernschwierigkeit, den schlechten Noten oder dem Lerndefizit. Insbesondere, wenn sich Ihr Kind anstrengt und im Rahmen seiner Möglichkeiten mitmacht.
Fazit: Professionelle Hilfe und Gelassenheit
Zusammenfassend lässt sich feststellen: Bei einer vorhandenen Lernschwierigkeit ist professionelle Hilfe unbedingt notwendig. Nach einer umfassenden Untersuchung und einer ausreichenden Ursachenforschung kann dann ein individuelles Unterstützungspaket für Ihr Kind festgelegt werden. Und dann heißt es: Schritt für Schritt an einer Verbesserung arbeiten, dabei gelassen und geduldig bleiben und auch kleine Erfolge feiern. Nicht selten werden Lernschwierigkeiten so über die Jahre hinweg immer kleiner und Lernen gelingt immer leichter. Daher unser abschließender Tipp: Immer am Ball bleiben, aber nicht zu viel Fortschritt und Lernerfolg auf einmal verlangen.