Wahrscheinlichkeit
Die Wahrscheinlichkeitsrechnung oder Stochastik ist ein großer Teil der Mathematik. Sie erlaubt es uns Prognosen (Voraussagen) zu machen, wie wahrscheinlich es ist, dass Ereignisse stattfinden werden. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeitsrechnung in vielen verschiedenen Bereichen des Lebens verwendet, unter anderem natürlich im Glücksspiel, aber auch in der Informationsverarbeitung und im alltäglichen Handel. Aber mal abgesehen davon, dass es heutzutage hunderte Berufe gibt, in denen Berechnungen der Stochastik verwendet werden oder in welchen es zumindest notwendig ist, über die Statistik (die Lehre von Methoden zum Umgang mit Daten) im Bilde zu sein, treffen wir selbst auch instinktiv häufig Entscheidungen, bei denen wir die Wahrscheinlichkeiten von Ergebnissen abwägen.
Wie wahrscheinlich ist es, dass einem etwas Schlimmes passiert, wenn man ein risikoreiches Unternehmen vorhat?
Lohnt sich eine Wette eher für mich oder für mein Gegenüber?
Ist es unwahrscheinlicher oder wahrscheinlicher, dass auf eine Sechs eine zweite Sechs gewürfelt wird?
Wenn den ganzen Abend noch keine Sechs gewürfelt wurde, dann muss doch jetzt mal eine Sechs fallen, oder?
Die Erfahrung beeinflusst unsere Entscheidungsfähigkeit und Intuition und kann beide sensibilisieren, aber aufgrund von weit verbreiteten Fehlschlüssen ist es ersichtlich geworden, dass in der Mathematik nicht nur die Rechnungen besprochen werden müssen, sondern die theoretische Stochastik eine größere Rolle bekommen muss. So spielen Fragen wie
Wann sind zwei Ereignisse von einander stochastisch unabhängig?
Wie genau sind Überschlagungen?
Können wir von vielen Umfragen auf eine relative Wahrscheinlichkeit schließen?
eine zentrale Rolle.
Die weit verbreiteten Fehlvorstellungen zum Thema sind:
1.) insensitivity of sample size
Der Glaube daran, dass die anzunehmende Wahrscheinlichkeit unabhängig vom Stichprobenumfang sei. Diese Fehlvorstellung soll ihre Wurzeln im folgenden Punkt haben.
2.) belief in the law of small numbers
Die Erwartung, dass kleine Stichproben stark repräsentativ seien und sich gut für Hochrechnungen eignen. Daher wird auch geglaubt, dass zwei kleine Stichproben sich stark ähneln müssten.
3.) gambler’s fallacy
Auffassung einer Fairness in den Gesetzen des Zufalls. „Ich habe bereits 10-mal verloren, also sollte ich gleich gewinnen“
4.) self-corrective tendency
von Fehlern in Zufallsprozessen.
5.) Phänomen der universellen Stichprobenverteilung
Ergebnisse von Stichproben ohne Bezug auf den Stichprobenumfang
6.) representative heuristics/Repräsentativitätsheuristik
Das Abhängigmachen einer Entscheidungsfindung davon, inwieweit das beobachtete Ergebnis repräsentativ ist, einerseits für die Verteilung, aus der es gewonnen wurde und zweitens für den Zufallsprozess, mit dem das Ergebnis generiert wurde.
7.) lack of distributional knowledge, insbesondere Unsensitivität gegenüber Verteilungsvariationen in Abhängigkeit von der Stichprobengröße
Die Fehlvorstellung darüber, dass die Distribution der Anteile unabhängig vom Stichprobenumfang sei.
Diese Fehlvorstellungen sind leider weit verbreitet, da die wenigsten Menschen verstehen, dass es äußerst schwierig ist, Rückschlüsse von Situationen auf eine in der Situation vorliegende Wahrscheinlichkeit zu ziehen. Sie rückten in den Fokus der Bildung, woraufhin die beschreibende Stochastik eine viel größere Rolle bekommen hat.
Wir gucken uns nun einmal an, was die wichtigen Punkte der Stochastik in der Hochschulmathematik sind. Dafür befassen wir uns mit den Bildungsstandards.
Die Bildungsstandards
Die sogenannten Bildungsstandards fassen in den Leitideen die Thematiken zusammen und in den Anforderungsniveaus die Kompetenzen, welche erworben werden sollen, um mit der Thematik umgehen zu können.
Leitidee „Daten und Zufall“:
Diese Leitidee vernetzt Begriffe und Methoden zur Aufbereitung und Interpretation von statistischen Daten mit solchen zur Beschreibung und Modellierung von zufallsabhängigen Situationen. In Ausweitung und Vertiefung stochastischer Vorstellungen der Sekundarstufe 1 umfasst diese Leitidee insbesondere den Umgang mit mehrstufigen Zufallsexperimenten, die Untersuchung und Nutzung von Verteilungen sowie einen Einblick in Methoden der beurteilenden Statistik, auch mithilfe von Simulationen und unter Verwendung einschlägiger Software.
Das darauf bezogene mathematische Sachgebiet der Sekundarstufe II ist die Wahrscheinlichkeitsrechnung.
(KMK (2012). Bildungsstandards im Fach Mathematik für die Allgemeine Hochschulreife (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.10.2012), S. 26)
Anforderungsniveau:
Die Schülerinnen und Schüler sollen im grundlegenden Anforderungsniveau
- exemplarisch statistische Erhebungen planen und beurteilen
- Sachverhalte mithilfe von Baumdiagrammen oder Vierfeldertafeln untersuchen und damit Problemstellungen im Kontext bedingter Wahrscheinlichkeiten lösen
- Teilvorgänge mehrstufiger Zufallsexperimente auf stochastische Unabhängigkeit anhand einfacher Beispiele untersuchen
- die Binomialverteilung und ihre Kenngrößen nutzen
- Simulationen zur Untersuchung stochastischer Situationen verwenden
- in einfach Fällen aufgrund von Stichproben auf die Gesamtheit schließen
Die Schülerinnen und Schüler sollen im grundlegenden Anforderungsniveau
- für binomialverteilte Zufallsgrößen Aussagen über die unbekannte Wahrscheinlichkeit treffen sowie die Unsicherheit und Genauigkeit dieser Aussagen begründen
- Hypothesentests interpretieren und die Unsicherheit und Genauigkeit der Ergebnisse
begründen
- exemplarisch diskrete und stetige Zufallsgrößen unterscheiden und die Glockenform als Grundvorstellung von normalverteilten Zufallsgrößen nutzen
- stochastische Situationen untersuchen, die zu annähernd normalverteilten Zufallsgrößen führen
Im Folgenden wird versucht, die Unterpunkte des grundlegenden Anforderungsniveaus genauer zu erklären.
Exemplarisch statistische Erhebungen planen und beurteilen:
Dieser Punkt beinhaltet das Verstehen von statistischen Umfragen sowie den Stichprobenumfang n und die Auswirkung des Variierens von n. Inwiefern ist die Wahrscheinlichkeit durch einen Stichprobenumfang gesichert?
Sachverhalte mithilfe von Baumdiagrammen oder Vierfeldertafeln untersuchen und damit Problemstellungen im Kontext bedingter Wahrscheinlichkeiten lösen:
Nicht nur der Umgang mit Baumdiagrammen, Vierfeldertafeln und dem noch recht neuen Doppelbaum soll verstanden sowie der Übergang von einer Darstellung in eine andere gelehrt werden, sondern Sachverhalte explizit geprüft werden, sodass die Darstellungsmöglichkeiten hauptsächlich als Mittel zum Zweck verstanden werden. Die bedingte Wahrscheinlichkeit anhand der genannten Möglichkeiten zu untersuchen und zu verstehen, lohnt sich, weil die einzusetzenden Variablen leicht abzulesen sind. Der Doppelbaum eignet sich hierfür hervorragend, da er sowohl die Möglichkeit anzeigt, dass Ereignis A zuerst eintritt und folglich Ereignis B, als auch andersherum (Ereignis B zuerst). Daher sind auch alle abhängigen Wahrscheinlichkeiten eingetragen.
Teilvorgänge mehrstufiger Zufallsexperimente auf stochastische Unabhängigkeit anhand einfacher Beispiele untersuchen:
Stochastische Unabhängigkeit von Ereignissen zu untersuchen eignet sich hervorragend, um Fehlvorstellungen vorzubeugen. Hier muss allerdings darauf geachtet werden, dass die gestellten Aufgaben sich auch gut als Beispiele für die Überprüfung stochastischer Unabhängigkeit eignen und das Ergebnis sollte natürlich realistisch sein. Die mathematische Bildung legt hier mittlerweile einen großen Fokus drauf und die Formulierung solcher Aufgaben wird immer präziser, weil stochastische Unabhängigkeit leider häufig einfach vorausgesetzt wird, getreu dem Motto „wir sind halt gerade in dem Thema“. Aber es muss mehr darauf geachtet werden, dass die richtigen Vorstellungen aufgebaut werden.
Eine Abituraufgabe sorgte für einige Aufregung aufgrund der Tatsache, dass in der Aufgabe stochastische Unabhängigkeit vorausgesetzt worden war, es allerdings keinerlei Hinweise darauf gab, dass dem so sei.
Die Aufgabe lautete:
Der deutsche Basketball-Profi Dirk Nowitzki spielt in der amerikanischen Profiliga NBA beim Club Dallas Mavericks. In der Saison 2006/2007 erzielte er bei Freiwürfen eine Trefferquote von 90,4 %.
Berechnen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass er
a) genau 8 Treffer bei 10 Versuchen erzielt,
b) höchstens 8 Treffer bei 10 Versuchen erzielt.
c) höchstens vier Mal nacheinander bei Freiwürfen erfolgreich ist.
Die Aufgabenstellung lässt eine Binomialverteilung vermuten, aber dafür müssten die einzelnen Würfe stochastisch voneinander unabhängig sein. Das sind sie aber offensichtlich nicht. Wenn der Spieler die ersten beiden Würfe versaut, wird ihm dies vielleicht psychisch zusetzen und er bekommt dadurch auch Schwierigkeiten bei den nächsten Würfen.
Die Binomialverteilung und ihre Kenngrößen nutzen:
Die Binomialverteilung ist eines der besterforschten Teilgebiete der Stochastik und es ist in vielerlei Hinsicht förderlich, sie zu verstehen. Ihre Voraussetzung ist, dass das Experiment ausgleichen und voneinander unabhängigen Experimenten besteht und die Versuche entweder Erfolge oder Misserfolge haben. Das Verständnis der Binomialverteilung und ihre Verwendung kann dabei helfen, Entscheidungen zu treffen. Welches Angebot lohnt sich mehr? Persönlich finde ich aber auch den Bezug zur Biologie sehr interessant. Die Verteilung lässt sich beispielsweise auf die verschiedenen Größen von Pflanzen anwenden. Die meisten Pflanzen sind für ihre Art mittelgroß, während es einzelne Ausschläger nach oben und nach unten gibt.
Simulationen zur Untersuchung stochastischer Situationen verwenden:
Die Digitalisierung bringt neue Möglichkeiten mit sich, nämlich die Verwendung von Programmen, welche uns in kürzester Zeit viele Versuche durchrechnen können. Die Untersuchung von stochastischen Situationen mit diesen Programmen kann eine Einsicht in das Thema bringen, welche ohne die Programme niemals umsetzbar wäre.
In einfach Fällen aufgrund von Stichproben auf die Gesamtheit schließen:
Kann man aufgrund von einer Befragung von 1000 Leuten etwas über alle Menschen in Deutschland aussagen? Wie groß muss ein Umfang sein, damit ich sichere Antworten
geben kann? Auch bei diesem Thema ist es äußerst wichtig, auf die Aussagekraft einzugehen. Inwiefern kann von absoluten Häufigkeiten auf relative Häufigkeiten geschlossen werden? In dieser Thematik kann auch direkt angesprochen werden, dass es einige Leute gibt, die doch eher glauben, dass es aussagekräftiger ist, wenige Menschen zu fragen, anstatt vielen.
Man merkt, dass die Theorie der Stochastik sich doch sehr gut mit den eh schon behandelten Themen vermitteln lässt und dass vielen Fehlvorstellungen leicht vorgebeugt werden kann, weil sie in manchen Themen direkt angesprochen werden können. Dennoch lässt sich anhand der Nowitzki-Aufgabe auch erkennen, dass es noch nicht allzu lange her ist, dass darüber diskutiert werden musste, wie man Kindern die Sachverhalte besser beibringt. Daher gibt es noch viele alte Lehrer, deren Bildungsstand gar nicht geeignet ist, um die neuen Erkenntnisse miteinzubeziehen und in mancher Schule beispielsweise auch gar nicht die Möglichkeit, dass jedes Kind selber am Computer mit einem Simulationsprogramm umgehen kann. Der Fokus auf diesen wichtigen Punkten muss daher durchaus bestehen bleiben.
Fazit
DMan merkt, dass die Theorie der Stochastik sich doch sehr gut mit den eh schon behandelten Themen vermitteln lässt und dass vielen Fehlvorstellungen leicht vorgebeugt werden kann, weil sie in manchen Themen direkt angesprochen werden können. Dennoch lässt sich anhand der Nowitzki-Aufgabe auch erkennen, dass es noch nicht allzu lange her ist, dass darüber diskutiert werden musste, wie man Kindern die Sachverhalte besser beibringt. Daher gibt es noch viele alte Lehrer, deren Bildungsstand gar nicht geeignet ist, um die neuen Erkenntnisse miteinzubeziehen und in mancher Schule beispielsweise auch gar nicht die Möglichkeit, dass jedes Kind selber am Computer mit einem Simulationsprogramm umgehen kann. Der Fokus auf diesen wichtigen Punkten muss daher durchaus bestehen bleiben.